COSMOTIC – Hinter den Bildschirmen

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Groß, Katharina im Interview mit dem Entwickler-Team von COSMOTIC am 15.03.2016

Um den Abschluss der Konzeptionsphase im kleinen Rahmen zu feiern und uns ein wenig besser kennenzulernen, organisierten mein Partner Steffen und ich ein gemeinsames Kochen und Essen in den Büroräumen der Firma, bei der er hauptberuflich als Softwareentwickler arbeitet. Steffen ist mein Partner, engster Vertrauter – und selbsternannter Netzwerker. Er ist äußerst kommunikativ und liebt es, mit Menschen zu arbeiten.

Ähnlich wie er ist auch mein künstlerischer Kollege Paul ein Viel-Projekt-Arbeiter. Er versteht sich im Team eher als Außenseiter – aus dieser Position heraus glaubt er, neue Perspektiven auf den Arbeitsprozess entwickeln zu können. Offenheit und Kritikfähigkeit seien dafür essenziell, ergänzt er.

Auch Robert ist ein Freigeist. Der hochgewachsene, schlaksige Typ bezeichnet sich selbst als albern und kinderlieb. Ich empfinde ihn manchmal ebenfalls als albern – aber in diesem Humor verbirgt sich eine Klugheit, die ich sehr schätze. Der älteste und berufserfahrenste in der Runde ist Micha. Er ist eher ruhig, wenig bewegungsfreudig, bevorzugt Aktionen mit möglichst wenig körperlichem Aufwand – seine Leidenschaft sind Computerspiele, darüber hinaus interessiert er sich für die gesamte Game-Industrie. Er und Steffen sind wohl die pragmatischsten Denker im Team.

Und schließlich ich: Auch ich habe die Fragen beantwortet. Uns alle eint die Neugier – das gemeinsame Entdecken eines, wie Steffen es nennt, posthistorischen Moments: der VR.

1. Erste Berührungspunkte mit Computertechnologie

Ich fragte die anwesenden Männer, wann sie das erste Mal mit einem Computer in Berührung kamen – und wann sie ihren ersten eigenen Rechner besaßen.

Robert saß links von mir und antwortete stets als Erster. Oft wiederholte er meine Fragen laut, als wolle er sicherstellen, sie richtig verstanden zu haben. Der 33-Jährige hat zuerst Medieninformatik studiert, dann Lehramt für Kunst und Geschichte, später Psychologie – und schließlich seinen Abschluss im Chemieingenieurwesen gemacht. Als Quereinsteiger in die Programmierung erinnert er sich daran, als Fünfjähriger auf dem Dachboden Galgenraten auf dem selbstgebauten Rechner seines Vaters gespielt zu haben. Dieser hatte den Computer aus alten Funkzeitschriften zusammengesetzt – mit einem selbstgeschweißten Tastaturgehäuse. Seinen ersten eigenen Rechner – einen D66 mit 200 MB Festplatte – bekam Robert mit 14 Jahren.

Auch Steffen glaubt, dass er etwa fünf Jahre alt war, als er das erste Mal vor einem Rechner saß – vielleicht war es auch ein Laptop seines Vaters, der viel auf Reisen war. Ein riesiger, schwarzer Kasten mit überdimensionierten Tasten und passivem Display, auf dem Windows 3.1 lief. Sein erster eigener Computer war ein Pentium II mit 400 MHz und einer Reva-Tetik-Grafikkarte. Da war er 14 – und begann zu programmieren:
„Dann kamen auch die ersten LAN-Partys und das Netzwerken bis hin zum Gamen. Ja – und dann war alles zu spät.“

„Was ist ein Computer?“, fragt Micha zurück – sein aktueller Lieblingsfilm ist Mad Max. Er beschreibt die kleinen viereckigen Geräte mit Folie im Hintergrund, auf denen ein schwarzes Auto fuhr – und man Hindernissen ausweichen musste. Das war in den 90ern. Sein erster eigener Rechner war ein Amiga 500, den er mit etwa 13 oder 14 Jahren bekam – und damit die Welt der Computerspiele entdeckte. Er programmierte erste Benutzeroberflächen und studierte später Informatik – seiner Leidenschaft folgend.

Pauls Lieblingsfilm ist Stalker. Der technologie-skeptische Paul kam vergleichsweise spät mit Computern in Kontakt: Mit 14 oder 15 spielte er Command & Conquer am Rechner seiner Mutter. Seinen ersten eigenen PC baute er sich mit 20 Jahren – aus alten „Spiel-Rechnern“ von Freunden – um elektronische Musik zu produzieren. Die passende Acht-Spur-Soundkarte hatte er schon. Für ihn ist der Computer ein Arbeitsgerät – Spielen in der Freizeit sei für ihn Zeitverschwendung. Erst im Designstudium bekam er seinen ersten eigenen Laptop; die intensive Auseinandersetzung begann aber erst in den letzten drei Jahren.

Ich selbst bekam meinen ersten Rechner mit 11 Jahren geschenkt. Das dazugehörige Spiel Die Siedler I war mir zu langwierig – ich nutzte die Tastatur lieber als Mischpult für meine imaginäre Radioshow. Erst im Studium und durch das Wissen über Bewegtbildbearbeitung wuchs mein Interesse. Mit der exponentiellen Entwicklung des Internets wurde die Auseinandersetzung mit Technologie für mich unvermeidlich – ich warf mich gewissermaßen in den Strom. Dennoch mochte ich immer das Analoge – Tusche, Grafik, Zeichnung, animiert…

2. Tätigkeit und Selbstbeschreibung

Die zweite Frage drehte sich um die aktuelle berufliche Tätigkeit und darum, wie sich die Interviewpartner selbst charakterisieren würden – gerade im Hinblick auf ihre Arbeitsweise im Team.

Robert beschreibt sich als interdisziplinären Programmierer. Er sieht sich als jemand, der zwischen verschiedenen Bereichen vermittelt und gerne seine Perspektive verändert. Er liebt es, „wildes Zeug“ zu programmieren, und sagt über sich:
„Ich weiß nicht, was ich kann, aber ich probier’s einfach.“
Im Team versteht er sich als „Patchknoten“ – einer, der die unterschiedlichsten Einflüsse aufnimmt und integriert, ein Bindeglied zwischen den Positionen. Er glaubt, dass er deshalb so gut an COSMOTIC arbeiten kann:
„Weil es alle Sinne anspricht – und keinen besonders.“

Steffen ergänzt:
„Ich glaube, ich bin das Gegenteil. Ich bin total spezialisiert auf das, was ich mache – Softwareentwicklung. Mich interessiert vor allem: Wie funktioniert das technisch? Wie kann man diese ganzen Signale in ein konkretes Interface überführen?“
Er sieht sich als jemand, der Dinge testet und entwickelt – und als technischer Problemlöser:
„Ich bin jetzt nicht so der kreative Typ. Ich habe kein künstlerisches Selbstverständnis. Ich mache das, was ich kann. Und das gerne.“

Micha beschreibt sich als „Spieler“ – in einem sehr weiten Sinne:
„Ich spiele mit Gedanken, mit Programmiercodes, mit Realitäten.“
In der Interaktion mit dem Team versucht er, durch spielerische Ansätze neue Ideen zu entwickeln. Das sei produktiv – weil er häufig ausprobiert, sich nicht festlegt.
„Ich bringe eine gewisse Lockerheit mit – das, glaube ich, ist mein Beitrag.“

Paul hingegen nimmt sich eher als Kontrastfigur wahr. Während andere enthusiastisch an technischen Details oder immersiven Interfaces arbeiten, beobachtet er oft zunächst – mit kritischem Blick auf die Entgrenzung technischer Umgebungen. Er versteht sich als künstlerischer Impulsgeber, der in das Team eine gewisse Störung bringt, aber auch ein Nachdenken initiiert.
„Ich bin wahrscheinlich der, der am wenigsten funktioniert – und genau deshalb mitmachen sollte.“
Er sieht seine Stärke darin, keine Lösungen zu präsentieren, sondern Fragen zu stellen – zum Beispiel zur Rolle des Körpers, zur Geschichte von Wahrnehmung oder zur Bedeutung von Stille.

Ich selbst sehe mich im Team als forschend-künstlerische Vermittlerin – als jemand, der sowohl auf das Prozesshafte achtet als auch auf die theoretischen Implikationen der ästhetischen Erfahrung. Ich versuche, die Beobachtungen, die ich mache, mit einem künstlerischen Denken zu verbinden, das sich nicht auf fertige Werke, sondern auf Möglichkeitsräume richtet. In COSMOTIC interessiert mich besonders das Spannungsverhältnis zwischen Körper und Interface, zwischen Spiel und Reflexion, zwischen Kontrollverlust und Empfänglichkeit.

3. Beweggründe zur Teilnahme am Projekt COSMOTIC

Was hat die Beteiligten bewogen, bei COSMOTIC mitzumachen?

Robert antwortet, wie so oft, als Erster. Zunächst aus reiner Neugier:
„Ich wollte wissen: Was ist das eigentlich? Was macht ihr da? Und dann hat es mich reingezogen. Ich liebe es, mich auf Dinge einzulassen, die ich noch nicht verstehe.“
Seine Motivation liegt weniger im Wunsch, ein abgeschlossenes Produkt zu entwickeln – als vielmehr in der Faszination für Experimente. Die Arbeit an COSMOTIC sei genau das: ein kontinuierlicher Versuch, eine Idee sinnlich erlebbar zu machen.
„Ich finde es geil, mit Biosensoren zu arbeiten – und mit Systemen, die man nicht mehr kontrollieren kann.“

Steffen spricht ebenfalls von einer Faszination – allerdings stärker aus der Perspektive der technischen Umsetzung:
„Es hat sich gut gefügt. Ich wollte ohnehin was mit Sensorik machen – und dann kam die Anfrage. Ich wollte einfach wissen, was mit dieser neuen Technologie alles möglich ist.“
Zugleich reizt ihn das Zusammenspiel mit Künstler:innen – gerade weil die Anforderungen oft unkonventionell seien:
„Ich hätte mir sowas nie ausgedacht – diese Ideen kommen nicht aus meinem Denken. Aber ich finde es super, sie umzusetzen.“

Micha betont, dass er von Anfang an Lust hatte, Teil eines künstlerischen Projekts zu sein.
„Ich hatte so was vorher noch nie gemacht – und ich wollte raus aus meiner Blase.“
Dabei habe ihn vor allem die Verbindung von Spielprinzip und ästhetischer Erfahrung gereizt:
„Es ist nicht einfach ein Spiel – aber es benutzt spielerische Elemente. Und das interessiert mich.“
Er ergänzt:
„Ich finde es spannend, dass das Spiel sich nicht wie ein Spiel anfühlt – sondern wie ein Raum, in dem etwas mit dir passiert.“

Paul antwortet nachdenklich. Für ihn war der entscheidende Impuls der Moment, in dem er gemerkt habe, dass es um mehr geht als Technik:
„Ich dachte: Okay, das ist nicht einfach eine neue Software, sondern das ist ein ästhetischer Raum, der mich selbst infrage stellt.“
Was ihn reizt, sei die Möglichkeit, durch Technik über Technik hinauszudenken. COSMOTIC ist für ihn ein Möglichkeitsraum, in dem nicht nur ausprobiert, sondern auch gefragt wird – nach Subjekt, Körper, Kontrolle und Wahrnehmung.
„Ich will wissen, wie sich meine Sicht auf die Welt verändert, wenn ich mich durch dieses Medium bewege.“

Ich selbst war anfangs skeptisch – Virtual Reality erschien mir zunächst als etwas Kaltes, Unzugängliches, schwer zu durchdringen. Erst als ich begonnen habe, mich mit den konkreten Prozessen zu beschäftigen – mit dem Moment der Atmung, der Koordination von Geste, Blick und Impuls – entstand ein anderes Interesse. COSMOTIC wurde für mich zu einem Resonanzkörper, in dem ich Erfahrungen machen konnte, die nicht nur medial, sondern existenziell waren.

4. Subjektive Einschätzung der VR-Technologie im Allgemeinen

Wie steht das Team grundsätzlich zur Virtual-Reality-Technologie?

Robert spricht von einem „posthistorischen Moment“. Für ihn stellt VR eine neue Stufe in der Medienentwicklung dar:
„Es ist, als würde man die Welt nochmal neu denken – aber diesmal aus einer anderen Richtung. Als wäre Realität jetzt nicht mehr das, was da ist, sondern das, was gemacht wird.“
Er betont, wie sehr ihn die neue Körperlichkeit fasziniert, die in der VR entsteht – und die Frage, wie sich Raum, Bewegung und Selbstwahrnehmung dabei verschieben:
„Man ist gleichzeitig drin und draußen. Man sieht sich, ohne sich zu sehen.“
Für ihn ist VR kein fertiges Medium, sondern ein experimentelles Feld:
„Wir wissen eigentlich noch gar nicht, was damit möglich ist. Und das ist genau das Spannende.“

Steffen sieht das pragmatischer. Er spricht von VR als einer „logischen Konsequenz“ der bisherigen Medientechnologien – der Versuch, Interaktion und Immersion weiterzutreiben.
„Ich finde es einfach technisch spannend. Natürlich ist vieles noch unausgereift – aber man merkt, dass da eine Entwicklung passiert, die nicht mehr aufzuhalten ist.“
Für ihn steht weniger die Frage nach dem Sinn im Vordergrund, sondern: Was funktioniert? Und was nicht?

Micha ist skeptischer. Ihn beschäftigt vor allem die soziale Dimension:
„Was passiert mit uns, wenn wir immer mehr Zeit in virtuellen Räumen verbringen?“
Er sieht die Gefahr einer Entkörperlichung – auch wenn er gleichzeitig den spielerischen Reiz betont:
„VR kann extrem unterhaltsam sein – aber es darf kein Ersatz für echte Welt werden.“

Paul hingegen fragt grundsätzlich nach dem Begriff von Realität:
„Was heißt überhaupt ‚virtuell‘? Und was heißt ‚real‘? Ist nicht jede Wahrnehmung eine Konstruktion?“
Für ihn birgt VR eine Möglichkeit, genau über diese Konstruktionen zu reflektieren – und sie sinnlich erfahrbar zu machen:
„Mich interessiert nicht, ob es realistisch ist – mich interessiert, ob es etwas mit mir macht.“

Ich selbst empfinde Virtual Reality als ein ambivalentes Feld. Einerseits spüre ich eine Skepsis – gerade gegenüber dem Markt, der Technologie schnell funktionalisiert. Andererseits finde ich das Potenzial faszinierend: VR als Erfahrungsraum, der gewohnte Kategorien von Subjektivität, Körper und Weltverhältnis infrage stellt. Nicht alles ist spannend – aber vieles ist herausfordernd. Und das reicht, um damit zu arbeiten.

Frage: Welche Assoziationen und Hoffnungen verbindest du mit VR – und was begeistert dich daran?

Robert: Ganz klar: Es ist eine spannende Form von Eskapismus – man kann sich vollständig von der Realität abkoppeln oder eine eigene erzeugen. Soziologisch interessant ist die Überschneidung von Realität und Lebenswirklichkeit. Was sind Lebenswirklichkeiten? Wie können wir effektiv aus ihnen ausbrechen? VR bietet eine der bequemsten Formen eines radikalen Shifts – man ist plötzlich unter Wasser oder jemand völlig anderes und entzieht sich seinen gewohnten Sinneswahrnehmungen. Es geht dabei nicht um ein umfassendes Umspannen der Realität, sondern konkret um das sinnliche Erleben. Das finde ich sehr spannend.

Steffen: Meine erste Assoziation: IAA Frankfurt 1997. Ich trug zum ersten Mal so eine Brille – ich glaube, von Audi. Ich drehte mich, sah eine Person, die mich ansah und ansprach – obwohl sie nicht real war. Mir war sofort klar: Diese Welt existiert, weil ich sie akzeptiere. Das ist der typische VR-Effekt: Du drehst dich – und die Welt bleibt konsistent. Sie ähnelt unserer Welt, hat aber ein völlig eigenes Narrativ: menschlich, künstlich, fantasiebasiert, technisch umgesetzt. Für mich ist das zutiefst posthistorisch – eine spielerische Subwelt ohne territoriale Kämpfe, ohne exklusive Hoheiten über Deutung. Wer bauen will, baut. Das ist für mich VR.

Micha: Ich kam spät mit VR in Berührung. Für mich ist VR eine Weiterentwicklung der Medien: Vom Buch über Radio, Film, Spiele – bis zur VR. Jedes Medium integriert weitere Sinne. VR ist noch kein vollständiges Körpergefühl, aber man ist näher dran. Man kann sich in jedem Medium verlieren – auch in einem Buch. VR gibt mehr Impulse, um schneller einzutauchen. Spannend wird es, wenn biometrische Parameter hinzukommen – wenn ich also etwas von mir selbst in die virtuelle Welt transferiere. Für mich ist VR letztlich ein Medium wie andere auch.

Paul: Ich hörte vor fünf, sechs Jahren einen Beitrag über das Konstruieren in virtuellen Räumen – das faszinierte mich technisch. Als Bildhauer ist die Frage zentral: Wirkt ein Modell in groß genauso wie in klein? VR ist da ein praktisches Werkzeug – ich kann das Gesamtobjekt virtuell betrachten und Details gezielter gestalten. Das spart Arbeitsschritte. Auch Modulation und Bewegung durch Gestik interessieren mich hier besonders.

Kata: Für mich ist VR Ausdruck unseres Bewusstseins. Was mich umgehauen hat, war die körperliche Ergriffenheit durch den Grad der Immersion. In VR verlierst du Raum und Zeit. Es ist ein Kommunikationsraum – unmittelbarer Ausdruck geistiger Vorstellungskraft. Und da es immateriell ist, kostet es keine Ressourcen. Vielleicht kann man darüber sogar das Unsichtbare – zum Beispiel über Sensoren sichtbar gemachte Emotionen wie Aufregung – sichtbar machen und sich selbst wie den anderen näherkommen. Vielleicht löst es uns vom Ego und führt zu neuen Sozialformen.

Robert: Da stimme ich zu. VR eröffnet eine introspektive Form der Selbsterfahrung. Anders als Facebook, wo es um äußere Darstellung geht, erlaubt VR, sich in sich selbst zurückzuziehen. Man kann konkreter reflektieren: Was macht mich aus? Welche Parameter definieren mein Empfinden? Vielleicht lassen sich so auch neue Bezugsgruppen finden oder Grenzen überwinden. Das Potenzial ist da – wie weit es reicht, bleibt offen. Ich hoffe: weit.

Steffen: Mich interessieren Relationen – auch zu unbelebten Objekten. Etwa: Wie kann VR komplexe Daten begreifbar machen? In einem anderen Projekt visualisieren wir „public data“ mit klassischen Mitteln – doch das reicht oft nicht. VR könnte abstrakte Zusammenhänge – z. B. Wahlergebnisse – räumlich begehbar machen. Das eröffnet ambitionierte Relationen, die in der Realität schwer abbildbar sind. Das ist das Neue an VR.

Micha: Das Neue ist die andere Herangehensweise. In VR gibt es keinen geführten Blick mehr wie im Film oder Buch. Man kann sich selbst entscheiden – selbst bei gescripteten Ereignissen. Das Erlebnis ist ein anderes: Ich sehe eine Szene, darf aber auch nach links und rechts schauen. Interaktion fehlt oft noch – aber man ist „näher dran“. Es kann völlig künstlich sein oder dokumentarisch – aber es ist nicht mehr linear.

Kata: Also weniger manipulativ?

Micha: Nicht unbedingt. Gute Aufarbeitung bleibt wertvoll. Aber man hat mehr Blickwinkel. Man kann sich sein Bild zusammensetzen.

Paul: Meine Hoffnung für VR: Räume für gesellschaftliche wie persönliche Probleme zu schaffen – Räume, die Selbstreflexion fördern. Nicht wieder ein Bespaßungsmedium wie Fernsehen, das nur vom Hier und Jetzt ablenkt.

Alle anderen: (lachen) Das wird passieren!

Frage: Was ist Magie? Gibt es Momente in der Arbeit mit Technologie, die sich für euch magisch anfühlen?

Robert: Magie ist für mich alles, was mich beeindruckt und was ich (noch) nicht verstehe. Es gibt viele magische Momente mit Technologie – vor allem dann, wenn verschiedene Systeme auf unerwartete Weise ineinandergreifen. Neulich etwa haben wir mit Wassernebel gearbeitet – das fühlte sich magisch an: einfachste Physik, aber mit poetischer Wirkung.

Steffen: Ich benutze den Begriff Magie kaum. Für mich ist das, was andere Magie nennen, oft das Ergebnis von Beharrlichkeit und Kommunikation. Aber ja – wenn plötzlich alles zusammenpasst, wenn die Summe mehr ist als ihre Teile, dann kann man vielleicht von Magie sprechen. Nicht der Anfang ist magisch, sondern der Moment, wenn man etwas verstanden hat, wenn es „kippt“.

Micha: Ganz ähnlich. Magie entsteht, wenn Zahnräder ineinandergreifen, die es eigentlich nicht sollten. Wenn etwas sichtbar wird, das vorher nicht da war. Wenn man plötzlich erkennt: da ist mehr. Das ist für mich magisch.

Kata: Es hat mit Sichtbarkeit zu tun?

Micha: Ja – mit Überraschung. Wenn einfache Werkzeuge plötzlich etwas wunderschönes schaffen, das man so nicht erwartet hat.

Paul: Für mich ist Magie der Moment im kreativen Prozess, wenn das Werk sich verselbständigt. Etwas entsteht, das ich nicht vollständig geplant habe, das mich aber überrascht – positiv. Im Technischen ist es schwieriger, weil es meist eine rationale Erklärung gibt. Aber manchmal gibt es auch dort dieses Gefühl.

Kata: Ich denke da an emergente Momente – wo etwas springt. Für mich war das in Indien, als ich plötzlich wusste, worum es in COSMOTIC thematisch gehen soll. Bis dahin hatten wir uns an der Technologie orientiert – aber dann kam das Motiv.

Steffen: (lacht) Weißt du noch, wie anders es am Anfang war? Die Blasen, die hyperlink-artige Struktur – alles UX. Aber es war seelenlos.

Micha: Stimmt. Also hattest du deinen emergenten Punkt – unsere kommen noch.

Kata: Es gab mehrere solcher Momente. Aber der war der deutlichste.

Steffen: Wir arbeiten ja auch schon seit über einem Jahr daran…

Kata: Das erste Konzept war von September 2014. Damals war es ein reiner Kommunikationsraum – mit Schreibenden und Lesenden. Es hat sich seither stark verändert.

Steffen: 2014 schon? Ich dachte, wir sprachen erst 2015 darüber.

Kata: Ich hatte schon etwas früher angefangen. Und magische Momente hatte ich auch auf Technopartys. Techno lässt mich nur fühlen – da ist kein Denken mehr. Wenn dann noch das Soziale dazukommt – das ist Magie.

Frage: Technologien und Entfremdung – fördern neue Medien die Vereinzelung des Menschen?

Robert: Diese These ist alt. Schon mit der Erfindung der Tageszeitung hieß es: Die Leute reden nicht mehr miteinander. Aber: Ist Entfremdung wirklich negativ? Ich sehe sie eher als Schaffung von Freiräumen. Man kann sich bestimmten sozialen Situationen entziehen – das ist auch eine Form von Autonomie. „Entfremdung“ ist für mich ein problematischer Begriff.

Kata: Und was ist mit dem gesellschaftlichen „Wir“ – wird das durch Technologie zersetzt?

Robert: Im Gegenteil. Neue Technologien ermöglichen neue Formen des Miteinanders – jenseits der alten One-to-Many-Medien. Heute kann jede:r direkt mit seiner Bezugsgruppe kommunizieren – ob per Messenger, Plattform oder VR. Das gesellschaftliche „Wir“ entsteht neu – auch wenn es in den Kinderschuhen steckt.

Steffen: Genau. Aus dem „local village“ wird ein „global village“. Viel entscheidender ist doch: Die Vereinzelung durch Arbeit, Selbstoptimierung, Selbstvermarktung. Das erzeugt echten Druck. Technologien sind da eher Werkzeuge – manchmal spielerisch, manchmal befreiend.

Micha: Das Internet war ein Riesenschritt. Es macht es leichter, Gleichgesinnte zu finden. Früher musstest du dich im Dorf mit dem Nazi-Opa arrangieren – heute kannst du dich online vernetzen. Natürlich entsteht Fragmentierung – aber auch neue Freiheiten.

Kata: Man bestätigt sich in der eigenen Blase.

Micha: Ja – aber das ist menschlich. Bequemlichkeit, Faulheit. Und es ist dynamisch – Gruppen ändern sich im Lauf des Lebens.

Kata: Ich frage mich manchmal: Wie viel von mir steckt in meinem Handy? Als es mir gestohlen wurde, fühlte sich das wie ein Übergriff an. Es ist wie eine Prothese geworden.

Micha: Ist das wirklich ein Problem?

Steffen: Es ist ein Phänomen. Und es hängt von der Medienkompetenz ab. Wenn man nur Katzenvideos schaut, ist das kein Fehler der Technik.

Kata: Überinformation kann zu Desinformation führen…

Steffen: Ja. Wir müssen lernen zu filtern. Zum Beispiel bei App-Benachrichtigungen – das war ein Lernprozess.

Micha: Genau. Filtern ist essenziell.


Frage: Unterschiede zwischen Kunstpraxis und Programmierpraxis?

Kata: Technologie ist ein sozial wirksamer Akteur. Sie wirkt mit an Sozialität – wie wir auch. Auch wir sind Medium.

Micha: Für mich ist ein Medium ein Kanal – Input = Output.

Kata: Aber wie beim Gespräch: Manchmal kommt etwas ganz anderes heraus. Auch Technologie kann überraschen – durch Störungen, Fehler, Unvorhergesehenes.

Steffen: Klar, aber diese Störungen sind menschengemacht. Eine perfekte Turing-Maschine macht keine Fehler.

Micha: Aber wenn Programme sich selbst schreiben – KI – dann wird das spannender. Dann reden wir über emergente Intelligenz.

Kata: Manche sagen: Es braucht dafür einen Körper – sinnliche Erfahrung.

Alle: Sensorik!

Steffen: In der Kognitionswissenschaft unterscheidet man bewusste und unbewusste Intelligenz. Bewusstsein entsteht womöglich durch Sensorik.

Kata: Müssten dann KI-Systeme nicht auch magische Momente erleben können?

Micha: Jetzt schweifen wir ab…

Kata: Macht nichts. Diese Gespräche sind genau das, was mich interessiert. Nicht nur harte Daten – sondern lebendige Prozesse.

Steffen: Ich frage mich, wie du das auswerten willst? Im Studium war qualitative Forschung immer ein Problem. Vielleicht bringt Paul das Ganze als Comic umsetzbar rüber.

Kata: (lacht) Vielleicht. Aber genau diese kleinen Dynamiken interessieren mich. Zum Beispiel, wenn ein Programm sich plötzlich anders verhält – und dadurch neue Gestaltungsmöglichkeiten entstehen.

Micha: Solche Bugs hat man ständig.

Steffen: In der Softwareentwicklung ist Scheitern Alltag. Debugging gehört dazu. Überraschung ist da eher Schmerz.

Micha: Fehler sind normal – wegen der Komplexität.

Robert: Wenn es keinen Fehler gibt, wird es unheimlich. (Lachen)

Kata: In der Kunst behandeln wir Fehler anders.

Micha: Ja, ihr dürft sie einbauen.

Paul: Kommt auf die Form an. Aber manchmal entstehen neue Möglichkeiten – wie in der Kunst.

Micha: Beim Programmieren ist Zufall selten erwünscht.

Steffen: Nicht auf den unteren Ebenen. Vielleicht bei Parametern, aber nicht bei Syntax oder Semantik.

Robert: Manchmal kann man Bugs kreativ nutzen – wie diesen alten MPEG-Fehler, der Bilder verzerren ließ. Wenn man damit weiterarbeitet, kann Magie entstehen.

Steffen: Dann ist man aber schon außerhalb des klassischen Programmierens. Vielleicht beim Hacken noch.

Micha: Ja – wenn man unerwartet eine Sicherheitslücke nutzt. Das kann kreativ sein.

Steffen: Vielleicht ist das unsere beste Analogie: Sicherheitslücken als kreative Potenziale.

(Stille)


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